Samstag, 18. Mai 2013

Unsere Rezension des Implexes (erscheint in der nächsten Testcard)

Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee von Barbara Kirchner und Dietmar Dath

Keine Spur linker Aufbruchsstimmung. Wenn man auf dem Grund angekommen ist, kann es nur noch aufwärts gehen. Was die mantraartig wiederholte Erbauungsformel ausblendet: Man muss sich auch auf den Weg machen. Zwanzig Jahre nach der Niederlage des 'real existierenden' Sozialismus scheint linke Theorie im Tal ihrer Bedeutungslosigkeit lieber Wurzeln zu schlagen. Wer sich nicht über feuilletonaffine Phantasterei und rechthaberische Klassiker-Exegese definieren will, sondern allem ideologischen und praktischen Unbill zum Trotz ein produktives Verhältnis zur verbesserungsbedürftigen und -fähigen Gegenwart sucht, wem Žižek zu wirr, Boltanski/Chiapello zu akademisch und Lukács zu gestrig sind, sollte zu dem vor einem Jahr erschienenen Buch von Barbara Kirchner und Dietmar Dath greifen. Denn statt postmodernem Lecken an philosophischen Fragmentbeulen bieten sie eine Gesamtschau: Was war das eigentlich, dieser ominöse soziale Fortschritt, den man seit dem 18. Jahrhundert zu verwirklichen suchte? Wie ging nochmal Aufklärung und wohin wollte sie?
Wo nicht allein schon das Wort Aufklärung hohle Proklamationsorgien von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit auf den Plan ruft, wartet oft ein entmutigender Befund: “Es ist das Paradox der Aufklärungen, daß sie zu ihrer Bedingung machen muss, was doch erst ihr Produkt sein kann“ (Hans Blumenberg). Zumeist wird aus diesem Umstand gefolgert, dass sie deshalb unmöglich oder schädlich oder ihre Paradoxalität ein idealisierter Selbstzweck sei. Andere ersticken sie im Überschwang ihrer Umarmung. Aufklärung wird entweder zu einer Rechtfertigungsmaschine für Ohnmacht und Terror (so etwas mögen die Jünger Trotzkis und Maos gerne) oder zu einem humanistischen Projekt, aus dem dann hier und da Reformen hervorquillen, erklärt.
Dahinter steckt massive Unkenntnis bisheriger Aufklärungswellen, seien es die Griechen der Antike, sei es die Ideengeschichte der Neuzeit. Wo immer Theorie sich aus ihrer Verwandtschaft mit der Theologie löst, verdoppelt sie sich in einen induktiv-empiristischen und einen deduktiv-rationalistischen Arm und geht die Wahlverwandtschaft mit der Wissenschaft von der Natur ein. Schließlich tendieren zur Zweiten Natur geronnene soziale Verhältnisse dazu, Individuen zu verdummen, bis unter Natur nur noch tote Materie oder eine esoterisch waltende Urkraft verstanden werden kann. Die Schnelligkeit, mit der Szientismus- und Naturalismusvorwürfe in halbwegs gebildeten Kreisen formuliert werden, verrät die Dringlichkeit einer Erneuerung. Um darauf pochen zu können, dass alles ohnehin schon Gemachte auch weiterhin veränderbar ist, braucht es ein Verständnis von Natur als das „der Veränderung durch Kommunikationsakte nicht Zugängliche“. Denn Aufklärung nicht als historisches Phänomen, sondern als politisches Prinzip von heute für heute wüsste sonst nicht, worüber noch wie aufzuklären. Gerade das allenthalben gefeierte konstruktivistische Erkenntnisinteresse führt nicht dazu, Modernisierungsschübe zu wagen, sondern gefällt sich in der Rolle, die Lernfähigkeit des Kapitals auch dort noch zu garantieren, wo es widerständige Potentiale zu aktivieren vermeint. Wo solche Aktivierung wirklich gelingt, wird sie ihren Erfindungsreichtum für Entdeckergeist halten müssen, wie es schon die Mütter und Väter des Naturrechts taten ohne sich daran zu stören, dass 'Naturrecht' ein Widerspruch in sich ist und nur durch Handeln rückwirkend wahrgemacht werden kann.
Mit dem Paul Valéry entlehnten Terminus Implex1 bezeichnen Kirchner und Dath die Doppelfigur von einer konkreten Situation inhärenten Freiheitsgraden mitsamt ihrem Erschließungsmuster. Diese Potentiale schlummern keineswegs irgendwo in der subjektiven Rumpelkammer des Gattungswesens, doch gibt es sie erst, sobald sie expliziert worden sind. Mit dem Implex-Begriff korrigieren die Autoren manchen Konstruktionsfehler der klassischen materialistischen Dialektik, von ihrem Substanzdenken bis hin zu ihren eher lokalen Vorurteilen wie der reduktionismusanfälligen Metapher von Basis und Überbau, ohne ihre zur gesellschaftlichen Praxis drängenden rhetorische Kraft durchzustreichen. Dies ist der Vorteil des Implex gegenüber der differance oder dem Rhizom, welche als Alternativen zur böse-logozentrischen Dialektik erdacht wurden: Statt endloser, Handlung hemmender Feindifferenzierungen ermöglicht er die Veränderbarkeit sozialer Tatsachen.
Dieses postkonstruktivistische Programm erfüllen Kirchner und Dath, indem sie den relativistischen Zeitgeist auf beinahe allen Feldern von Wissenschaft, Kunst bis zu der etwas knapp behandelten Realgeschichte durch Nachweis (und nicht durch die grobschlächtigen Behauptung) von Zirkelschluss, Selbstwiderspruch und Themaverfehlung ad absurdum führen. Ohne diese Drecksarbeit wäre die Rede von einer Universalität, die weder auf eine Eschatologie im Wolfspelz (diverse Pauluslektüren jüngster Vergangenheit) noch auf die apriori-Chimären von Habermas oder Rawls hinausliefe, gehaltlos.
Sozialer Fortschritt fährt weder auf Schienen noch marschiert er auf Geheiß eines abstrakten Willens. Nachdenken in und mit dem Implex erzwingt, die lassalleanische Verelendungstheorie und ähnliche Kurzschlüsse ebenso auf Abstand zu halten wie Negri/Hardts Verwechslung von Brosamen mit Revolution. Er erlaubt sogar einen Blick hinter die Kulissen: Mechanismus und Voluntarismus stehen in komplementärer Komplizenschaft. Gemeinsam haben sie das cartesianische Denken in Nullen und Einsen. Lieber sprechen Dath und Kirchner von etwas, das unter Linken (in der Schwarz-Weiß-Rhetorik vieler Revolutionstheorien nicht anders als im Essentialismus mancher Gesellschaftsanalysen) meist ausgeblendet bleibt und verantwortungslos dem (Neo-)Liberalismus, seinen anthropologischen Grundüberzeugungen bis hin zu seinen politökonomischen Implikationen überlassen wird: Von Wahrscheinlichkeiten.
Seit dem Sieg des Bürgertums in der „atlantischen Doppelrevolution“ hat keine Strömung des politischen Denkens die Veränderbarkeit sozialer Tatsachen im Sinne der Aufklärung so intensiv durchdacht und praktisch werden lassen wie der Sozialismus marxistischer Prägung. Deshalb unterziehen Kirchner und Dath die angestaubten Vokabeln des historisch-dialektischen Materialismus einer breiten kritischen Revision. Eine undogmatische, aber durchweg positive Lektüre von Lenins Parteitheorie taucht neben Peter Hacks‘ Überlegungen zu der Klassenstruktur im Sozialismus genauso auf wie die Aneignung systemtheoretischer und pragmatistischer Begriffe; Nicos Poulantzas und Alain Badiou erhalten nicht weniger Raum als Friedrich August von Hayek und Carl Schmitt. Das positive Element der Kritik, das, was man einst die bestimmte Negation nannte, wird hier in sein Recht gesetzt. Ob man nicht trotzdem die eine oder andere Anmerkung zu irgendeiner Spielart des Neuplatonismus, der und der Entwicklung der anglophonen Philosophie und noch einem wenig bekannten Science-Fiction-Werk auch mal weglassen kann, bliebe dennoch zu überdenken. Gutes Lektorat ist etwas anderes, Lesefluss auch.
Doch bevor man sich dem Antiintellektualismus Alexander Cammanns anschließt, der in der ZEIT den Autoren „kalaschnikowartige Selbstermächtigungsprosa“ vorhält, mache man sich klar, dass sich in solch einem eben kalaschnikowartigem Urteil nicht zuletzt Scheu und Abscheu des liberal-demokratischen Konsenses ausdrückt. Treffender nennt der einzige Rezensent, der die holprigen 800 Seiten durchgegangen zu sein scheint, Georg Fülberth, die beiden „ideologische Trümmerfrauen“, zeichnet sie doch nicht nur akribisches Wissen über das Gewesene und Vorhandene aus, sondern auch der Blick für das (Wieder-)Aufzubauende - Aufklärung ist Marxismus avant la lettre, Marxismus Aufklärung mit anderen Mitteln.
So gelingt dem Buch seine eigentliche Leistung: Die Entwicklung einer Terminologie, welche dem Leser gleichsam in einem loop nicht nur analytisches Werkzeug verschafft, sondern seine Wahrnehmung auf Fakten setzendes Handeln eicht. Ein Denken in Möglichkeiten, das nicht in die Utopiefalle geht, ist das Resultat. Wer heute noch die Weltabgewandtheit der Linken beweint und nach der Einheit von Theorie und Praxis fahndet: Hier ist sie.


1Die Einzahl setzen die Beiden bewusst und analog zu dem Sprachspiel, nach dem man auch von „der“ Vergangenheit reden muss, will man die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.


Montag, 22. Oktober 2012

Peter Hacks: Die Namen der Linken

Begriffliche Klarheit über die bestehenden Verhältnisse ist notwendig für das Gelingen jedweden soliden Fortschritts. Mendelejews Periodensystem etwa war ein entscheidender Meilenstein für die Entwicklung der Chemie. Was nun aber die ungleich zersplittertere politische Linke angeht - höhö! -, fehlte lange Zeit ein ähnlich aufschlussreiches Schema. Peter Hacks, nach eigener Auskunft der größte deutsche Dramatiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hat vor gut zehn Jahren einen wegweisenden Entwurf in diese Richtung vorgelegt. Ans Herz gelegt sei er all jenen, die sich in Wort und Tat aus der "Nacht, in der alle Kühe schwarz sind" zu lösen gedenken:

Freitag, 19. Oktober 2012

Implex-Lesekreis, Teil 2

Der Lesekreis zum Implex von Barbara Kirchner und Dietmar Dath der KSG.Kommunistische Studentengruppe geht in die zweite Runde. Die erste Sitzung findet statt am 25. Oktober, 20:00 Uhr (s. t.) in P 6, Philosophicum (Jakob-Welder-Weg 18). Gelesen wird Kapitel 8: Contes Fantastiques.


Montag, 15. Oktober 2012

Unser (bisher unveröffentlichter) Artikel für das Debattenmagazin des SDS



Rückwärts nimmer -
Vorschlag zu einer kommunistischen Haltung

Ist Marx noch relevant?“ Die Frage taucht in abgewandelter Form spätestens seit der ominösen Krise, die monatlich ihre Gestalt ändert, vom Wirtschaftsteil bürgerlicher Zeitungen (auch der öffentlich-rechtliche Moloch darf da mal einen Robert Kurz reanimieren) bis zur kritischen Gruppe, überall auf, wenn dämmert, dass es ganz hübsch wäre, die Ursachen der ökonomischen Prozesse zu kennen. In einer Zeit, in der die griechische KKE eine relevante Kraft zu werden scheint, die von deutschen Medien geradeso verschwiegen werden kann, in der Gewerkschaften qualitative Forderungen erheben und seit gefühlten Urzeiten mal wieder Mitglieder gewinnen, wird der Marxismus also, gleichberechtigt neben Herbert Marcuse und Sascha Lobo, in die bürgerliche Diskursmaschine integriert. Aus der kommt er unentstellt nicht mehr heraus: In der bürgerlichen Kultur tauchen die Lehren Marx' und Engels' nur um ihre wesentlichen Bestandteile befreit auf, also undialektisch, unpolitisch, dem Kapitalismus ungefährlich. Was diese späten Bastarde Marxens besonders gerne übergehen, sind die historischen Erben seines Schaffens, die naturgemäß aus unserem Gesichtskreis zu verschwinden drohen.
Wenn man von einigen mutmaßlichen Austauschstudierenden aus der Republik Kuba absieht, werden in den nächsten Jahren keine Studierenden mehr an einer deutschen Universität beginnen, die den Sozialismus bewusst oder unbewusst miterlebt haben. Wie soll man das Unfassbare, das Ende des – wie es so schön scheiße heißt – realexistierenden Sozialismus erklären? Es war ein unbesiegbares System, das besiegt wurde. Über die Gründe wird heute noch gestritten. Auf der einen Seite stehen unterschiedliche historische Urteile über das Scheitern des Sozialismus; Kurt Gossweiler etwa, der sagt, der Revisionismus sei, angefangen bei Chruschtschow, vollendet von Gorbatschow, der Anfang vom Ende gewesen und die Aufweichung sozialistischer Grundsätze und -haltungen innerhalb kommunistischer Parteien habe zu deren Wandel hin zu einer imperialismusfreundlichen Politik geführt oder die Parteigänger Trotzkis, die die Ursache des Scheiterns früher ansiedeln und Kritik an der Außenpolitik Stalins und allgemein an dem Weg der jungen Sowjetunion nach dem Tode Lenins üben. Auf der anderen Seite stehen moralische Kritiker der DDR und der UdSSR, die von Zukunft und Überwindung reden, ohne, scheint's, genau zu wissen, was da überwunden werden und wohin die Reise gehen soll, außer zu einem nicht realexistierenden Sozialismus, also zu keinem. Um Missverständnissen vorzubeugen: Darüber, dass der Sozialismus, wie er war, nicht wieder kommt, herrscht mithin Einigkeit und sei den Traditionalisten an dieser Stelle eingebläut.
Es geht hier jedoch nicht um eine Analyse der DDR, sondern unter anderem um eine Auseinandersetzung mit dem Phänomen der DDR-Kritik. „Willst du denn die DDR wieder haben?“, gehört zu denjenigen Fragen, die man als Kommunist, also jemand, der das Gute, Wahre und Schöne nicht mit Blut und Boden, vorgefundenem Scheißdreck und vaterländischer Tradition in Verbindung bringt, sondern am Horizont erkennt, nicht zu beantworten braucht, wenn die Begriffsbildung vernünftige Wege gegangen ist. Sie ist außerdem eine, an der sich gut der Unterschied zwischen Wünschen und Wollen auseinandersetzen ließe.
Der Antikommunismus der Totalitarismustheoretiker dominiert derweil nicht nur die bürgerliche Öffentlichkeit der vorerst siegreichen BRD, sondern wird gerade unter Linken jedes Jahr von Neuem auf die Tagesordnung gesetzt, wobei man sich da schon fragen kann, warum, denn die DDRkritik kann man getrost der CDU überlassen, wo ihr natürlicher Lebensraum ist. Vorerst sitzen Schmutzgeier beliebiger politischer Couleur auf dem vermeintlichen Kadaver „der politisch gescheiterten Aufklärung“ (Dath) und krächzen umso lauter, je länger sie sich an ihm gütlich tun. (Überraschend lebendig, dieser Tote).
All die kapitalismuskritischen Bewegungen, die sich laufend moralische Siege bescheinigen und deren es mehr und mehr gibt, sind nur vereinzelter Abfluss dessen, was einmal Arbeiterbewegung hieß. Das heutige Zersplitterungselend versucht sich dem durch zwei Selbstlügen abzuhelfen: zum Einen die Rede von der Notwendigkeit polyphoner, pluralistischer Kritiken am Kapitalismus, denen eine postrevolutionäre Zeitgemäßheit beschieden wird, was sich praktisch als Märchen vom guten Kapitalismus figuriert und Gemächlichkeit der Ausbeutung meint. Zum Anderen der hundertste Versuch einer Bündelung der Kräfte in einer Partei, deren Namen konsequent das Erbe des Manifests verweigern und deren Ziele und Aufbau Lenin's Parteitheorie – hinter wenigstens die sollte man nicht mehr zurückfallen - gänzlich vernachlässigen.
Es steht außer Frage, dass das Zusammenführen linker Kräfte nützlich und notwendig ist. Angesichts der imperialistischen, bis zu Kriegseinsätzen sich steigernden Außenpolitik der Bundesrepublik, angesichts der offenen Bereitschaft, zu faschistischen Herrschaftsmethoden überzugehen, in der Innenpolitik, ist ein gemeinsamer Widerstand aller Linksdemokraten in Deutschland, ungeachtet der Verschiedenheiten in Weltanschauung und politischen Konzeptionen sinnvoll und unerlässlich“ (Holz) Solche Verbindungen haben ihre Grenzen im Marxismus, der zwar auf eine Pluralität von Perspektiven angewiesen ist, einen Pluralismus von Meinungen oder gar, wie uns die zeitgenössische kapitalistische Propaganda (Postmoderne) einzuhämmern versucht, „Wahrheiten“, kann es in ihm nicht geben. Marxistische Kategorien sind nur im Ganzen, also in ihrem Wesenzusammenhang, wirksam und ein von Lenin oder dem Sozialismus gesäuberter Marx ist allenfalls für diejenigen zu haben, die in eklektizistischer Manier löchrige Teppiche (also falsche Theorien) flechten.
Die unangenehmen Folgen des Fehlens einer kommunistischen Partei, bedeuten für die verstreuten Kommunnistinnen und Kommunisten weder die Auflösung des Ganzen, noch – was viel häufiger passiert – die Verwechslung ihrerselbst mit diesem. Die klare Rückbindung aller ohnehin vorhandenen Kritiken an die Frage der Produktions- und Eigentumsverhältnisse, daran erweist sich die Identität aller Kommunisten. Wer bei einer beliebigen Taktik den Marxismus aus seinem oder dem Blick der kapitalismuskritischen momentanen Partner gleiten lässt und das Zweckbündnis verewigt, verfällt schnell in jenen kleinbürgerlichen Subjektivismus, den, wer den Sozialismus anstrebt, hinter sich lassen sollte.
Das meint Haltung: In der gegenwärtigen Lage nicht dem Trugschluss aufzusitzen, irgendeine Linke oder Studentengruppe sei das Desiderat dessen, was ansteht. Die Organisationsfrage ist mitnichten durch linke Sammelbecken zu klären, sondern durch Einheit und Klarheit.
Diese Standfestigkeit wird einem – da die Partei antizipiert ist – niemand beibringen, doch dass man nicht bei fünf bis zehn Seiten Marx stehen bleiben darf, mag einleuchten. Nach den Marx-Lesekreisen des SDS hätten solche zu Lenin eindeutig zu folgen gehabt, um zu verdeutlichen, dass das Ziel in in einer bestimmten Richtung liegt und keinesfalls in einer unbestimmten.
Haltung zu bewahren hieße, sich als Kommunistin oder Kommunist zu bezeichnen und dies auch offensiv zu vertreten – die Schwierigkeiten dazu sind, trotz antikommunistischer Freischärler wie Gauck und Co., wie uns der schon erwähnte Dietmar Dath lehrt, viel geringer als noch zu Zeiten des Kalten Krieges. „Aber sag, wie hältst du's mit den Verbrechen der Sozialismus?“, so lautet die Gretchenfrage der Antikommunisten. Nein, es geht nicht um eine Vertuschung differenzierender Kritik, sondern um die Offenlegung, dass nivellierende Kritik an den historischen Errungenschaften der Arbeiterbewegung, eben der UdSSR, seit es sie gibt, immer dazu dient, die Einheit des organisierten Proletariats zu blockieren. Im Übrigen ziehen es auch Liberale vor, die Gründungsverbrechen der bürgerlichen Gesellschaft nicht ständig mitzubedenken, wenn sie die Errungenschaften des Kapitalismus preisen.

Der SDS ist ein pluralistischer Verband und findet das auch gut. Ziel ist eine gemeinsame Praxis, aber: Ein ungeklärtes Verhältnis von Theorie und Praxis führt derweil nicht nur zu fruchtloser Praxis, sondern auch zu theoretischen Absonderlichkeiten. Ein Beispiel: Der Feminismus ist – ganz zurecht – eines der wenigen halbwegs fundierten und verbindlichen Merkmale des theoretischen Bewusstseins des Verbandes, erfährt aber in aller Regel keinerlei Rückbindung zu marxistischen Kategorien, in denen er seinen Ort hat. Die freischwebende, mithin pluralistische, Theoriearbeit innerhalb des SDS ist ohne jeden Zusammenhang, es gibt kein ordnendes Allgemeines, Ganzes.
Ein Symptom dieses Symptoms ist der Artikel „Das Rad dreht sich weiter“ von Jakob Graf in der zweiten Ausgabe des Theorieblättchens Praxis, in dem es etwa heißt: „Als sozialistischer Studierendenverband streben wir, wenn wir unsere Denktraditionen ernst nehmen – eine herrschaftsfreie Gesellschaft an.“ Lesen wir, was einer unserer traditionellen Denker in der Kritik des Gothaer Programms zum Thema meint: „Zwischen (!) der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode (!) der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat (!) nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats. (Ausrufezeichen von uns)“ Man darf an dieser Stelle schon einmal fragen, wer eigentlich in den Marxlesekreisen gelesen wurde. Wenn ein sozialistischer (!) Studierendenverband den Sozialismus anstrebt, dann sollte man in ihm die Phrase von einer „herrschaftsfreien Gesellschaft“ durchaus einmal als Idee „verrückter Anarchisten“ abtun, deren Elend wesentlich darin besteht die Ziele ohne Mittel erreichen zu wollen. Des weiteren ist auch der Verweis auf „Denktraditionen“ auffällig, da unserem Verband gerade eine Rückbesinnung auf Handlungstraditionen gut zu Gesicht stünde.
Weiter: „Auch ist es oft nur Schein zu denken, dass Wohlfühl-Atmosphäre und Freude bei der politischen Arbeit die Effizienz beeinträchtigen. Wir brauchen sowohl 'Privates' als auch einen arbeitsfähigen Verband. Das scheint zu wenig klar zu sein.“ Soll wohl heißen: Was jemand „privat“ (s. pluralistischer Verband) im stillen Kämmerlein denkt, muss Gegenstand der Auseinandersetzung innerhalb des Verbands sein, damit dieser „effizient“ arbeiten kann und außerdem muss der Verband arbeitsfähig („effizient“) sein. Schöner Schluss! Die schlichte Tatsache, dass die Arbeit leichter von der Hand geht, wenn man auch Spaß dabei hat, bestreitet sowieso kein Mensch. Der Verweis gestattet aber, durch die Hintertür moralische Kategorien in die Diskussion einzuführen. Wie eine vernünftige Begriffsarbeit stattfinden soll, ohne, dass dabei auch einmal die Fetzen fliegen, verstehe wer will, ein Beitrag zur theoretischen Klarheit ist die Forderung einer „Wohlfühl-Atmosphäre“ jedenfalls nicht; sie ist nur der jammervolle Ausdruck dessen, dass dem/der einen oder anderen zu dämmern beginnt, dass Pluralismus nicht einfach nur ein Zustand ist, in dem von allen stillschweigend jeder Unfug geduldet wird, sondern möglicherweise auch einmal Unvereinbares gegeneinander kracht. Die Idee ist: Meinungsverschiedenheiten sind immer konsensfähig. Man muss doch nur miteinander reden. Dass es innerhalb des Verbandes unvereinbare Positionen gibt, wird vorsorglich gar nicht erst in Betracht gezogen. Forderungen nach einem inhaltslosem „Freiraum“, sprich: organisierter „Toleranz“, bedeuten eine Vertiefung willkürlich entstandener, also falscher Überzeugungen, deren Überwindung dem Verband zu wünschen ist.
Das einzige Mittel gegen solche Gefühlsgespinste ist eine einheitliche theoretische Grundlage. Ein klarer Begriff von Sozialismus und ein richtiges theoretisches wie praktisches Verständnis der Dialektik von Teil und Ganzem (Antikapitalismus ist ja ganz nett, er tut halt keinem weh, wenn er nur im abstrakt Negativen versumpft.) sind dafür notwendig zu erarbeiten, wenn die Einheit des Verbandes erhalten, besser: hergestellt werden soll. Alles Gerede um unbestimmte und also nutzlose Begriffe wie „Effizienzrevolution“, „Wissenshierarchie“ usw, die Aneinanderreihung von Phrasen („stummer Zwang ökonomischer Verhältnisse“, „Herrschaft ist immer ein gesamtgesellschaftliches Verhältnis“, „Artikulationen“ dürfen auch mal, weiß der Geier wie, „auf Stein beißen“, etc.), all das gehört ins „Museum der Altertümer“ (Auch von so einem traditionellen Denker).
Dass Jakob Graf überall „Probleme“, „Problematiken“ und deren „Problematisierungen“ beobachtet, wo Widersprüche bestehen, ist ebenso wenig hilfreich für die Einheit und Klarheit der Sozialistinnen und Sozialisten wie antikommunistische Propaganda, (da ist die Klassengesellschaft schon mal eine „durch Konkurrenz organisierte“ - Jakob Graf, nicht Rainer Brüderle), die auf dem Boden eines pluralistischen Verbandes notwendig wächst.
Es ist nicht die Zeit, „Spannungsfelder“ zu beackern, sondern die noch nicht abgestorbenen Wurzeln zu wässern.


Zur Grundlegung



1. Die KSG versteht sich als eine Organisation von Studierenden, die sich aus der Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus heraus zusammengeschlossen haben.
2. Das theoretische Rüstzeug hierzu bieten uns die revolutionären Lehren von Marx, Engels, Lenin und Luxemburg.1 Sie begründeten die wissenschaftliche Weltauffassung des historischen und dialektischen Materialismus.
3. Die kapitalistische Produktionsweise birgt Widersprüche in sich (Privateigentum an Produktionsmitteln und Anarchie des Marktes bei gleichzeitig höchst organisierter gesellschaftlicher Arbeitsteilung), welche die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus bedingen.
4. Dadurch, dass der Kapitalismus sowohl die Tendenz der Monopolisierung in sich trägt, als auch die Klasse schafft, welche ein objektives Interesse an seiner Abschaffung hat, das Proletariat, schafft es sich die Bedingungen seines eigenen Untergangs.
5. "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen" (Manifest der Kommunistischen Partei). Heute stehen sich zwei antagonistische Hauptklassen gegenüber: Die Kapitalistenklasse als Eigentümer der Produktionsmittel und die Arbeiterklasse, welche mangels Eigentum gezwungen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.
6. Dieser Interessensgegensatz ist ein unversöhnlicher. Es kann keine absolute Vermittlung zwischen den Klassen geben.
7. Der kapitalistische Staat ist Ausdruck dieser Unversöhnlichkeit der Klassen. In welcher Form auch immer, ob offene Diktatur oder parlamentarische Demokratie, ist der Staat Organ der herrschenden Klasse, der Klassenherrschaft. Der Staatsapparat besteht aus bewaffneten Organisationen (Polizei, Militär, Justiz) zur Aufrechterhaltung dieser Herrschaft.
8. Auch die Arbeiterklasse muss, um siegreich zu sein, sich eigene Organe zur Sicherung seiner Klassenherrschaft schaffen. Es bedarf des proletarischen Staates, der Diktatur des Proletariats, um den Widerstand der vormals herrschenden Klasse zu brechen.
9. Im Sinne der Herrschaft des Volkes ist die Diktatur des Proletariats die erste wirkliche Demokratie. Aber es ist der erste Staat, der sich seiner eigenen Grundlage, der Klassengegensätze entzieht, indem es mit der Herrschaft der Arbeiterklasse die Bedingungen dazu schafft, der Teilung der Menschen in Klassen ein Ende zu schaffen. "An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen."(Anti-Dühring). Der Staat stirbt demnach ab.
10. Der Arbeiterbewegung schädlich sind sowohl reformistische als auch utopistische Theorien, weil sie im ein oder anderen Maße das Proletariat theoretisch als auch faktisch entwaffnen.
11. Wir betreiben unsere theoretischen Schulungen vor dem Hintergrund der sozialistischen Arbeiterbewegung. Umso schmerzlicher ist es, dass Erfahrungen, die die Arbeiterbewegung mit dem Reformismus machen musste, gegen dessen Stärkung sich Luxemburg und Lenin vehement wehrten, scheinbar ohne Konsequenzen blieben und dieselben Fehler sich wiederholen.
12. Reformistische Strömungen werden von dem Gedanken getragen, dass es möglich sei, durch soziale und politische Reformen in den Sozialismus hinüberzuwachsen. Dies ist nur möglich, wenn man den Klassencharakter des Staates nicht verstanden hat, den Staat also als neutrales Terrain begreift. Auf der Basis des Reformismus ist es also möglich über Parlamentsmehrheiten schrittweise zum Sozialismus zu übergehen. Dies vernachlässigt, dass jede Reform von der Arbeiterklasse erkämpft werden musste (nicht in den Parlamenten), und diese sogleich auch wieder Gegenangriffen ausgesetzt sind. Keine Maßnahme ist also von Dauer, erst die politische Herrschaft der Arbeiterklasse gibt ihr eine Form, in dem Verbesserungen ihrer materiellen Lage gesichert werden können.
13. Wir lehnen die romantischen Vorstellungen des Utopismus, trete er in Form des Anarchismus oder des Reformismus in Erscheinung, konsequent ab, da er die Einbildung fördert, der Sozialismus sei auf friedlichem Wege einzuführen bzw. der Kommunismus sei ohne die Übergangsphase der revolutionären Diktatur des Proletariats herstellbar, und somit die wichtigste Kampfform der Arbeiterklasse blockiert. Diese stellt die revolutionäre Gewaltausübung dar.
14. Die KSG anerkennt die Errungenschaften der Sowjetunion und der DDR als Errungenschaften der europäischen Arbeiterbewegung und insbesondere der russischen Oktoberrevolution.

1Mit deren Werken befassten wir uns in den vergangenen Semestern, ihre Überzeugungen sind die unseren.
Die Mitglieder der KSG distanzieren sich ausdrücklich von den Inhalten aller verlinkter Seiten.